UnNatur (Pt. 2)
Wir schreiben das Jahr 1980, der Blog(ger) [im weiteren "B" genannt] war 
gerade in der Mitte seines Säuglingsstadiums angelangt als in diesem Mitsommer 
eine Grippenwelle seine mittel- und unmittelbare Verwandschaft überfiel.
Gemäß der ihm überlieferten Aussagen zog es sich damals so zu, dass sich vor 
allem seine einst noch kleine, aber doch um ein wesentliches ältere Schwester 
zusammen mit deren etwa gleichaltriger Cousine - Letztgenanntere war seinerzeit 
stets nach der Schule bei der (zwischenzeitlich verstorbenen) gemeinsamen 
Großmutter zur Tagesbetreuung (wo eben B sich auch befand) -, dem genannten 
grippialen Effekt schutzlos ausgeliefert waren.
Es wurde zwar Sorge getragen, 
dass niemand dem noch jungen B zu Nahe kam, aber ein Kontakt konnte 
mittelfristig nicht ausgeschlossen werden.
Und so kam es wie es kommen 
mußte, der B wurde ebenfalls angesteckt, was zuerst keine größeren Probleme 
darstellte, da sein kleiner Körper die Krankheit überraschend schnell und 
effizient bekämpfte.
Nach dessen Genessung jedoch fiel des B's Eltern auf, 
dass er auf akustische Signale nicht mehr zu reagieren schien.
Nachdem sich 
dies nach ein paar Tage nicht besserte, war guter Rat teuer.
Nach gründlicher Untersuchung beim ortsansässigen Kinderarzt wurde schnell 
das Übel der Dinge festgestellt, die Diagnose war für alle erschreckend und 
ernüchternd gleichermaßen. Die einfache Analyse stellte keinen übermäßigen 
Ohrenschmalz im Gehörgang fest, sondern eine aus dieser Krankheit entwickelten 
Taubheit. Des Arztes Ansicht nach mit größter Wahrscheinlichkeit für immer.
Die nächsten Wochen und Monaten mußten die reine Qual für die Eltern und die 
Verwandschaft des B gewesen sein. Alle einfachen Versuche, das Hörverhalten zu 
testen in der Hoffnung auf ein Wunder waren vergebens.
Ihnen blieb nichts 
anderes übrig als sich mit dieser Gegebenheit abzufinden. Sie hatten nun ein 
taubes Kind.
So vergingen die nächsten 3 bis 4 Monate. Der B war bereits auf der 
"Zielgerade" seiner Säuglingszeit und glitt so langsam aber sicher in die Welt 
des Kleinkindalters über.
In dieser Zeit war er bereits dabei seine ersten 
vorsichtigen Schritte auf 2 Beinen in aufrechter Körperhaltung experimentel 
anzugehen, meist zur Zufriedenheit aller mit ungewöhnlichem Erfolg trotz seiner 
Behinderung. Er würde ein lebensfrohes und lebhaftes Kind werden - so war der 
allgemeine Tenor der Sippschaft -, egal, ob er sein sein Umfeld nun mit oder 
ohne funktionierenden Gehör wahrnehmen könnte.
An einem Frühlingstag war er erneut in der "Tagesbetreuung" bei seiner 
Großmutter. Es war ein ganz normaler Tag, seine Oma bereitete gerade das 
Mittagessen für seine Schwester und Cousine zu. B schaute ihr dabei gerne zu und 
zu ihrer Freude auch in aller Regelmäßigkeit währendessen ein. Sie legte ihn 
stets in ihrer Nähe in einen kleinen Krippenwagen, wo er alles beobachten 
konnte, und trotzdem in diesem geborgenen Nest seine wohlverdiente Ruhe bzw. 
seinen unschuldigen Frieden fand.
B war bereits tief und fest eingeschlafen 
und erweckten den Anschein, dass er gerade im Land der Träume versinken würde. 
Seine Großmutter war gut in der Zeit, das Essen war schon fast fertig, der Tisch 
war gedeckt. Um die Zeit bis zur Ankunft ihrer Enkelinnen sinnvoll zu 
verbringen, widmete sie sich somit kleinerer Abspültätigkeiten.
Und auch 
diese Arbeit ging ihr leicht von der Hand, nur noch ein paar sperrige 
Gegenstände galt es abzutrocknen. Darunter auch ein großer Kochtopf, in dem sie 
oft - und wie an diesem Tage auch - Kartoffeln kochte. In ihren Gedanken 
versunken griff sie zielsicher nach dem Topf und ruppelte ihn fein säuberlich 
mit ihrem Geschirrtuch trocken. Dabei schaute sie wie so oft aus dem zum Norden 
hin gerichteten Wohnküchenfensters, das ihr einen herrlichen Anblick auf den 
rund 800 qm großen Garten mit zahlreichen Apfel-, Birn- und Pflaumenbäumen bot. 
Ihr ganz besonderes Augenmerk erhielt ein Baum in erster Front, ein herrlicher 
Kirschbaum, der trotz eines Blitzschlags vor ein paar Jahren immer noch die 
besten Früchte dieser Sorte hervorbrachte, die sie jemals gegessen hatte. Es 
mußte einer, wenn nicht sogar der erste Baum gewesen sein, den ihre 
Ur-Großeltern hier gepflanzt hatten. Vielleicht war er aber auch schon 
vorhanden, und das im Jahr 1912 errichtete Haus wurde bewusst dort am Rande des 
Kirschbaums errichtet. Sie erzählte es keinem, aber sie ärgerte sich insgeheim 
oft, dass sie niemals ihre Großeltern darauf angesprochen hatte, die Dinge 
hinterfragte, wie sie sich zugetragen hatten. Solche Information wäre eine 
gelungene Tischgeschichte für ihre Kind- und Kindeskinder geworden.
Schon als Kind naschte sie von den Früchten des Baumes. Jedes Jahr zur 
Blütezeit, konnte sie es kaum erwarten, bis sie die erste Kirsche essen durfte. 
Sie erinnerte sich an dem Tag, als ihre Großmutter sie in die Kunst einwies, wie 
man einen leckeren Kirschkuchen macht. Sie folgte den Erklärungen und 
verinnerlichte die Anweisungen an diesem für sie bedeutsamen Tage. Nach dem Tod 
ihrer Oma lebten dieses und viele weitere Rezepte in ihr fort, und sie gab sie 
guten Herzens unverändert so an ihre einzige Tochter weiter, derren Kind sie nun 
betreuen durfte.
Sie mußte zwangsläufig daran denken, dass weder sie noch 
ihre Tochter diesem Kinde jemals etwas mit der Sprache so einfach erklären 
konnten. Diese Überlegungen betrübten ihre Stimmung etwas mit Wehmut.
Er war mehr als trocken. Sie holte tief Luft, wandte sich vom Fenster ab, 
ging in ihren Gedanken versunken in Richtung Geschirrschrank, um den Topf dort 
zu verstauen. Auf ihren Weg  sah sie den kleinen Jungen in seiner Krippe 
friedlich vor sich hindösen. Sie mußte kurz innehalten, den es floß ihr just in 
diesem Moment eine Träne über die Wangen.
Was sie nicht ahnen konnten: noch 
ehe diese Träne sich in ihre Bestandteile auflöste, sollten sich die Ereignissen 
in der kleinen Wohnküche überschlagen.
--- der Ort des Geschehens - 3 Dekaden 
später ---
Weit vor der Geburt des B zierten einstmals 
dezent dunkel gehaltene Fliesen den Dielenholzboden, unter dem sich noch heute 
unter Stahlstreben die Ölheizung des Hauses befindet. Es muß Ende der 50er 
Jahren gewesen sein, als der Bodenbelag durch das damals noch gängige Material 
Linoleum abgelöst wurde, gutmöglich daher, weil einige der Fliesen kaputt nicht 
mehr lieferbar waren. Später, Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts 
wurde abermals ein neuer Untergrund aus Stragula ausgelegt, dem dann dessen 
"Nachfolger" aus dem Material Polyvinylchlorid (PVC) folgte.
Und auf so einer Bodenfläche muss es seinerzeit 
geschehen sein. Wie, das kann heute niemand mehr richtig nachkonstruieren. Der 
einzig noch lebend anwesenden Zeuge - B, dessen Gehirn seinerzeit noch nicht 
völlig ausgereift war - hat heute Probleme mit dem Kontextwechsel, der nicht nur 
etwas mit dem Bodenbelag zu tun hat, sondern eher mit der perspektivischen 
Ansicht.
Seine liebe Großmutter hatte ihm die Geschichte zwar mehrmals (auch auf ausdrücklichen Wunsch) erzählt, aber jedesmal war sie etwas anders, zumindest war so seine Auffassung. B fand das grundsätzlich schön, den so lebte das Geschehnis für ihn persönlich zu einer Art Mysterium auf, mal abgesehen davon, dass er beim Zuhören der Erzählerin immer wieder neue Einblicke bekam.
Seine liebe Großmutter hatte ihm die Geschichte zwar mehrmals (auch auf ausdrücklichen Wunsch) erzählt, aber jedesmal war sie etwas anders, zumindest war so seine Auffassung. B fand das grundsätzlich schön, den so lebte das Geschehnis für ihn persönlich zu einer Art Mysterium auf, mal abgesehen davon, dass er beim Zuhören der Erzählerin immer wieder neue Einblicke bekam.
Personen, die seinerzeit und heute noch leben, 
haben zwar viele Dinge chronologisch festgehalten, sind aber in der Gegenwart 
nicht mehr in der Lage die genauen Abläufe aus der Erinnerung heraus 
wiederzugeben. Zumal waren sie ja im Moment des Ereignisses auch gar nicht 
vorort.
Zwar wurde die Mutter von B unmittelbar danach fernmündlich freudigst informiert. Bis sie schlußendlich bei B und ihrer Mutter eintraf, durfte sie jedoch feststellen, daß alles bereits in bester Ordnung (wieder) schien.
Zwar wurde die Mutter von B unmittelbar danach fernmündlich freudigst informiert. Bis sie schlußendlich bei B und ihrer Mutter eintraf, durfte sie jedoch feststellen, daß alles bereits in bester Ordnung (wieder) schien.
Ihre Träne sollte kein Wermutstropfen 
bleiben, dafür sie in ihrer gerade erlebten Wehmut herausholen, wenn auch nur 
kurz. Den in ihren Gedanken vergaß sie völlig den Deckel des Topfes, der mit dem 
Knauf umgedreht auf selbigen Platz in der unteren Lade des Geschirrschrankes 
finden sollte.
So stellte sie den Topf auf die kleine Anrichte des Schrankes, öffnete die nach Norden gerichtete linke Türe des Schrankes und ging an B vorbei zurück zu ihrer Pantryküche.
So stellte sie den Topf auf die kleine Anrichte des Schrankes, öffnete die nach Norden gerichtete linke Türe des Schrankes und ging an B vorbei zurück zu ihrer Pantryküche.
Zu ihrer Freude war des Topfes Pendant bereits 
fast trocken. Sie entschied sich daher den Deckel nur oberflächlich zu bohnern 
und nahm ihn am Griff gefasst in ihre linke Hand. Zusammen mit dem Geschirrtuch 
in ihrer rechten bewaffnet ging sie zielstrebig zurück zu ihrem Geschirrschrank. 
Ein kurzer Blick hinein verriet ihr, das die linke Seite bereits mehr als 
gefüllt war und sie Platz für Topf und Deckel finden mußte, den sie daraufhin 
rückseitig rechts neben sein Gegenstück abglegte.
In gebückter Haltung wandete sie sich kopfüber 
gen Norden gerichtet dem geräuschvollen Gruscheln [fränkisch für kramen 
bzw. wühlen] zu, dass sie wohl bei einem hörenden Kleinkind eher 
geräuscharm verrichtet hätte. Es dauerte nicht lange, bis sie meinte, es wäre 
genügend Platz gemacht. Mit dem Kopfe noch auf Höhe der Schranktüre griff sie 
mit der rechten Hand blind aber zielsicher nach dem Griff des Topfes.
Dabei passierte es ...
Dabei passierte es ...
Ein eigentlich fast normales Szenarie spielte 
sich in weniger als einer Sekunde in der geräumigen Wohnküche ab. Der Topf blieb 
mit seinem gegenüberliegenden Griff am Deckel hängen und riss diesen mit sich. 
Es war ein kurzer Flug, denn die Schwerkraft erledigte den Rest. Glück im 
Unglück, dass der Deckel nach Hinten geschleudert wurde, und ihren Rücken so vor 
einem Aufschlag verschonte.
Aber erschreckend allemal für die Frau in den Mitfünfzigern, die sogleich einen urinstinktiven Schrei von sich gab. Im selben Moment ließ sie aus einem Reflex heraus den Topf in ihrer rechten Hand los. So ungehalten war dessen Schicksal mit einem schnellen Gang auf den mit Stragula ausgelegten Holzdielenboden unabwendbar.
Aber erschreckend allemal für die Frau in den Mitfünfzigern, die sogleich einen urinstinktiven Schrei von sich gab. Im selben Moment ließ sie aus einem Reflex heraus den Topf in ihrer rechten Hand los. So ungehalten war dessen Schicksal mit einem schnellen Gang auf den mit Stragula ausgelegten Holzdielenboden unabwendbar.
Ein dumpfer Schlag ... und nun konnte man die 
Sekunden zählen. Eins, zwei, ...
... B schrie! Und schrie, brüllte förmlich aus 
seinen kleinen Lungen und fing schließlich an zu Weinen.
Fast hätte sich seine Großmutter noch den Kopf 
beim Erheben an der Kante des Schrankbrettes gestoßen, so überrascht war sie. 
Ihre Gefühle in diesem Augen- oder vielmehr "Ohrenblick", dürften gemischter 
nicht gewesen sein.
Topf und Deckel und alles andere war nicht mehr 
wichtig, denn B konnte plötzlich wieder hören, wie anders könnte man es sich 
sonst erklären.
Nicht oft ist man bei einem Wunder 
anwesend;
noch seltener ist man Auslöser eines solchens.
noch seltener ist man Auslöser eines solchens.



