UnNatur (Pt. 25)
Die Zeit - das letzte Unbekannte. Dies sind die Abenteuer eines Stundenreisenden, der mit Kopfbedeckung und Augenschutz kurz und ungebunden unterwegs ist, um alte Lebensräume zu entdecken, ferne Zivilisationen und kaum bekannte Kulturen zu erforschen. Er, der Feiertagstraumzeittourist, dringt dabei in Epochen vor, die Menschen seiner Generation nie zuvor gesehen hatten.
Wir befinden uns in einer fernen Zukunft. Es ist Feiertag, der einzige, der noch zelebriert wird. Sabbate oder Sonntage gibt es nicht mehr. Die Zeit der monotheistischen Religionen ist vorbei, der Kult der Sonn-Tags-Verehrer ist schon längst in Vergessenheit geraten. Rituelles findet sich nur noch in der Selbstbestimmung von Individuen wieder. Von Bräuchen und Sitten wissen die wenigsten; sie existieren in wagen Überlieferungen und Erinnerungen daran. Eine kleine, elitäre Gruppe von Menschen ist darum bemüht, die Vergangenheit Ihrer Spezies näher zu erkunden. Ihre einzige Möglichkeit ihr Wissen zu erweitern besteht in Reisen durch die Zeit. Ihr Mittel ist nicht die Technologie, denn Maschinen und andersartige Errungenschaften technischen "Fortschritts" gibt es nicht mehr. Der Neu-Mensch hat dafür keine Verwendung mehr. Die Traumwelt ist das Tor durch die Zeit. Jeder ist dazu befähigt, aber nur die großen Träumer schaffen - oder vielmehr "wagen" - es, sich vollständig mit ihrem leiblichen Körper in fremde Zeiten und/oder Örtlichkeiten zu manifestieren. "Wagen" daher, weil solche Unterfangungen nicht nur gefährlich erscheinen, sie sind es auch durchaus. Ein falscher Ort zur falschen Zeit würde in letzter Konsequenz den fleischlichen Tod bedeuten. Und selbst wenn kein Fehler begangen wird, sind die äußeren Umstände der damaligen Gegebenheit eine Tortur für die Körper der Neu-Menschen. Gerade das Hochanthropozän lässt lediglich Besuche von wenigen Stunden zu, um keine nachhaltigen Nebenwirkungen von den seinerzeit gegenwärtigen, schädlichen Umwelteinflüssen hervorzurufen. Dazu kommt der Umstand, dass Manifestationsreisen genau das Gegenteil widerspiegeln, was ein Traum herbeiführen sollte - eine Erholung für Körper und eine Nährung des Geistes. Wer sich also zum berufenen Personenkreis der Traumzeitforscher zählt, macht dessen Namen alle Ehre. Traumzeitforscher forschen nämlich nicht, sie sind forsch. Weder sind sie wagemutig noch besonders kühn. Eine Neigung zu suizidalen Zügen gepaart mit wahnhaften Ideen scheinen eher treffende Be-/Umschreibungen für sie zu sein. Ihr Wesen ist von Doppelmoral geleitet, denn obgleich sie besessen wirken, möglichst viel in möglichst geringer Zeit zu erhaschen, kontrollieren sie ihre Forschungsreisen akribisch. Von der Zeitspanne und den Abschnitten zwischen den Expeditionen liegen angepasste Abstände. Es sind ungeschriebene Gesetze, angefangen bei der Dauer. Niemals verschwand jemand länger als 1/3 der Schlafphase. Niemals nahm jemand nach einer Reise darauffolgend eine weitere in Kauf. Es wäre für die Gruppe unlogisch und für die Aufgabenstellung obendrein kontraproduktiv. Schon kurze Reisen verlangen in aller Regel eine enorm lange Nachbesprechungs- und denkzeit für den Einzelnen und, letztendlich, nach Erkenntnis und Verarbeitung derer eine weitere Periode für den Austausch mit den anderen Traumzeitforschern. Im Anschluss darauf erfolgen ausführliche Erlebnisberichte für die Allgemeinheit und die Nachwelt.
Um einen Punkt klar herauszustellen: Traumzeitforschern geht kein guter Ruf nach, denn sie sind nicht darauf aus in früheren Existenzen ihrer Leib-Seele-Welt vorzudringen, sondern konzentrieren sich auf Augenblicke aus der Geschichte, in denen sie niemals involviert waren. Vielen ihrer Zunft ist es sogar nahezu unmöglich ihre eigene Vergangenheit zu ergründen, was sie zu Sonderlingen macht. Auf der anderen Seite ist es für sie ein Leichtes, über bspw. Relikte aus früheren Zeitspannen den Pfad zu finden, als just diese eine Bestimmung hatten oder ihnen jene nachgesagt wurde. In der Welt der Neu-Menschen, die eine immens großen Wert auf ein erhöhtes Wissen durch eine Klarwerdung der eigenen Person legt - über Traumreisen in eigene, vergangene Leben -, wirken die Traumzeitforscher wie Fremde in einer unstrukturierten Gesellschaft voller Individualisten - Sonderlingen eben.
In dieser bizarr anmutenden Welt lebt unser kleiner Feiertagstraumzeittourist, kurz: FTTZT. Wie er sich nennt oder vielmehr wie er tatsächlich heißt, weiß man nicht; in seiner Gruppe nennen ihn alle FeiTag Tra ZeiTou. Er akzeptiert diesen Namen in der vollen Version, so wie auch Abkürzungen jeglicher Art. Meist wird er FeiTag gerufen, von einigen auch ZeiTou, sozusagen beim Nachnamen, wenn man es so sehen will. Mit "Tra" - Mittelnamen? - reden ihn nur sehr nahe Vertraute an, von denen er allerdings wenige hat. Er ist vertraut in seiner Welt und traut weder der Welt der Neu-Menschen noch den meisten seiner Traumzeitforschergruppe. Er vertraut sich stets sich selbst an und lässt lediglich für ihn Ausgesuchte näher in sein Sein eintauchen. Vielleicht spiegelt er in seinem Verhalten eine Neuversion eines im Anthropozäns typischen Neuro-Untypischen wieder. Sein ausgelebter und auffälligster Spleen ist dieser, dass er nur an Feiertagen reist, wovon sein Name abgeleitet wurde. Da es in der Neu-Welt aber nur noch einen Feiertag in einer Zeitperiode von rund 29 Sonnenaufgängen gibt - die Nacht des Vollmonds -, hat sich FTTZT eine Viertelung überlegt, vielleicht auch aus seinen Träumen ermittelt, auf die am Ende bzw. am Anfang ein Feiertag folgt; er gab ihm eine Zahl: 0. Nach weiteren Tagen mit den Zahlen 1-6 folgt erneut sein persönlicher Feiertag, der Tag 0. Er weiß, dass seine Rechnung nicht aufgeht, und ist auch froh darum, denn er mag Feiertage eigentlich nicht. In jedem Fall - und in allen Fällen -, geht er ausschließlich in den Nächten vom Tag 6 auf den Tag 0 auf Traumzeitforscherreise. Ausnahmen macht er keine, Entdeckungen viele.
Dies sind die Abenteuer von FTTZT, wollen wir uns erlauben ihn "Fei" zu (be-)nennen.