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Die Schwestern Adelhaid und Selma (Pt. 1)

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Geschichtle I (Pt. 1)


"The same procedure ..." oder: "Der frühe Vogel ..."

Ein warmes, sanftes Nass vom Kinn aufwärts bis zu den Augen und darüber hinaus liesen Adelhaid aus dem Land der Träume in die Realität gleiten. Sie öffnete ihre Augen, erschrak kurz. Und schloss selbige wieder.
Ein schriller Ton ein paar gefühlte Sekunden später veranlaßte sie schließlich endgültig in eine horizontale Körperhaltung zu kommen. Der altertümliche Wecker aus einer anderen Zeit war die Ursache des Übels. Aber er war notwendig, so unfreundlich sein Geräusch auch war. Er kam zwar in aller Regel nur einmal im Jahr zum Einsatz, und das seit vielen vielen Jahren, aber er leistete nach wie vor seine guten Dienste, so wie auch an diesem heutigen.
Eigentlich war er nicht notwendig, denn das sanfte warme Nass einer Hundezunge und der herzliche Blick aus nussbraunen Augen direkt in das Herz eines Menschen hätten völlige Genüge getan.
Ihr alter Hund war manchmal ein besser Zeitmesser als eine Atomuhr.
Und auch wenn es für sie nicht üblich war zu so früher Stunde den Tag in der Nacht zu begrüßen, heute war es einfach nötig. Und wie in jedem Jahr an diesem Tag legte sie großen Wert darauf diesen Zeitpunkt vor der Morgendämmerung auf keinen Fall zu verpassen.

Ein kurzes Strecken und mit einer geradezu geschmeidigen Eleganz warf sie ihre Füsse parallel hoch und aus dem Bett, direkt in ihre Hauspartoffeln, auch diese ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, denn sie pflegte seit Jahrzehnten eigentlich keinen Gebrauch mehr für Schuhwerk. Nur in ihrer Schlafstube kamen diese zum Einsatz. Und auch nur, weil sie kein Bedürfnis hatte mit Tierhaaren an den Sohlen zu Bette zu gehen. Wieso das so war, konnte sie sich selbst nicht erklären.
"Guten Morgen Marley" schoss es aus ihren Lungen über ihre Zunge direkt in die Ohren ihres treuen Begleiters. Selbiger kam foglich gleich zu ihren Knien, schmiedete sich an diese und erwartete sein frühmorgendliches Verwöhnungsprogramm, dass in einer ausgiebigen Streichelmassage bestand.
Und wie an jedem Morgen seit 20 Jahren kam sie diesem Gesuch nach, wenn auch heute nur sehr kurz. "Marley, du weißt was heute für ein Tag ist?" fragte sie in den Raum. Die Ohren des Tiers gingen etwas nach hinten, ebenso dessen Leftzen gleichsam nach hinten -ein belustigendes Grinsen hervorgebend -, und es machte den Anschein, als ob er die Augenbrauen zu einem nachdenklichen und etwas verdutzen Stutzens hochzog, so als wolle er sagen: "Natürlich weiß ich das du Dummchen, ich hab dich schließen extra dafür mitten in der Nacht geweckt". 
Adelhaid mußte nicht mehr sagen, natürlich wußte ihr 'alter Herr', was es für ein Tag war. Und so drehte er sich von Frauchen ab, ging ein Stückchen nach vor und setzte sich circa einen Meter von ihr entfernt hin, festen Blickes zu ihr. Und obendrein noch strategisch günstig zwischen dem Bett und der Türe, die der indirekte Weg für ihn nach draußen bedeutete. Er deutete kurz ein Nicken in Richtung Ausgang zu seinem Frauchen an. So als wolle er sagen, "nun las uns schon gehen, alte Frau".
Ein Lächeln entfloß Adelhaid und es schien als ob es die Seele dieses Tieres direkt erreichte. "Nun gut, natürlich weiß du das." Adelhaid erhob sich gemächlich, streckte sich kurz, bis sie stehend vor dem Bett stand und ihren Satz vollendet: "Dann las uns losgehen."
Es mag befremdlich für jemanden klingen, wenn ein Mensch zu einem Tier spricht, aber Adelhaid pflegte die verbale Kommunikation nicht nur mit ihrem Lieblingstier Marley, sondern auch mit einem jedem Lebewesen. Nicht einfach nur so, nicht aus Einsamkeit - das war sie ganz und gar nicht -, sondern weil sie einen direkten Zugang zu einer jeden Lebensform hatte. Angefangen bei den Pflanzen in ihrer direkten Umgebung über die einfache Arbeitsbiene bis hin zu Niederwild aller Art. Es schien faßt so, als ob sie mit sich und ihrer Umwelt eine Art Symbiose eingegangen ist, und das nicht erst seit gestern sondern seit vielen Dekaden.



Beherzten und entschlossenen Schrittes passierte sie ihren Hund, streifte in kurz mit der Außenseite ihrer Hand am Körper entlang, öffnete die Türe und machte sich so dann bereit in die noch kühle Landschaft hinfort zu ziehen.
Auf der Schwelle zur Haustüre drehte sie sich noch einmal um. "Es scheint mir so mein alter Herr, ich solle meinen Körper bedenken." Der Angesprochene war nicht mehr der schnellste und lugte mit nachdenklichen Gesichtsausdruck um die Ecke aus dem Schlafgemach in Richtung seines Frauchens. Ein "Wenn Sie meinen" könnte man aus dieser einfachen Mimik herauslesen, ein "Menschen sind manchmal so kompliziert" wenn man es böse auffassen möchte.
Adelhaid ignorierte das und zog von ihrem Kleiderständer ihren selbst geknüpften Hanfmantel, schwung ihn um sich und öffnete die Haustüre. "Jetzt können wir gehen!"

Die kühle Morgenbrise, die den Raum sogleich erfühlte, war für den Seniorhund Anlaß genug sich auf seinen vier Pfoten in Richtung Außenwelt zu begeben, wohl mit dem Hintergedanken, damit Frauchen ja nicht noch mal ihre Meinung ändern würde.
Adelhaid blieb kurz auf ihrer Terasse stehen, nahm die Luft durch ihre Nase inssich auf und stoß sie mit einem starken Ausatmen wieder aus ihrem Mund heraus. "Ich sollte das öfters machen" sagte sie. "Hörst du Marley?" fragte sie ihren Hund, der mittlerweile direkt neben ihr stand. Er schaute verblüfft zu ihr auf. Bevor er nur einen Gedanken fassen konnte antworte sie für ihn "Richtig, du hörst gar nichts". Ein tiefes Schnaufen war seine Antwort. "Kein Rotkelchen, kein einziger Vogel ist jetzt schon wach". Sie stoppte kurz, fuhr dann fort: "Scheinbar sind wir heute auf ein Neues der frühe Vogel."

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Die Schuhe abstreifend nahm Adelhaid einen Blick über ihr Haus in Kauf. Besinnlich betrachtete sie den beleuchteten Vollmond, der augenscheinlich fast über ihren kleinen Bungalow wie an Seidenfäden am Firmanent hängte. Sie kehrte diesem Szenario dem Rücken zu und schritt die 3 Stufen herab von ihrer Veranda auf den erdig ausgelegten Weg, der sie zu und von ihrem Eigenheim brachte. Ein kurzer Ausfallschritt, beabsichtig, und schon war ihr rechter Fuss im nassen Grün der Wiese. Eine seitliche Hüftdrehung brachte auch den Linken auf diese Fläche und ihren Körper wieder in Richtung Blick zum Mond. Einen Moment dachte sie nach. "80 Jahre!" Marley, weiterhin auf der Veranda stehend, schaute sie erneut entgeistert an, diesmal allerdings in der Tat ohne einen blassen Schimmer, was hier Frauchen zum Ausdruck bringen wollte.
"Vor 80 Jahren war auch Vollmond", sie hielt kurz inne. "Nein, es waren 68 Jahre". 2012 war es. Der 01. September 2012." Während sie dies sprach verharrte ihr Blick gerade zu hyphnotisiert zum Mond hin.
"Metrologischer Herbstanfang 2012, ich erinnere mich als ob es gestern war" schoß es aus ihr heraus. "Es war ähnlich kühl und frisch wie heute". Jetzt wurde Marley ein bißchen skeptisch. Er war zwar alt, aber so alt war er nicht. Zu solchen Zeiten war noch nicht einmal seine Ur-Ur-Ur-Großmutter geboren. Mit dieser Information konnte er rein gar nix anfangen. Er entschloß sich daher, behutsamen Schrittes die Treppen herabzusteigen, hinter seinem Frauchen auf deren linke Seite zu laufen und sich niederzusetzen, sie direkt von unten anzuschauen und der Dinge zu harren, die als nächstes kamen.

"Das waren noch Zeiten, Marley. Hätte ich damals schon gewußt, wie die Dinge laufen würden ..." Adelhaid stoppte ihren Satz, seufze kurz leise auf und senkte ihren Blick zu Boden. Zuerst betrachtet sie ihre nackten Füsse, dann ging ihr Blick in Richtung ihres Hundes. Und auf ein Neues durfte sie feststellen, wie erhellend und heilsam die Augen ihres treuen Kameradens sein konnten, denn so schnell die wehmütigen Gedanken kamen vergingen sie nur durch die blanke Existenz dieses Geschöpfes. Wie hatte sie nur ohne ihn die vielen Jahre vor seiner Existenz überleben können?

Schweigend standen sie da noch ein Weile, Mensch und Hund sich aneinander anblicken. Blau-grüne und nussbraunen Augen. Der Betrachter dieser Szene könnte sich denken, wer nur diesen Unsinn seinerzeit in die Welt gebracht hatte, dass mein seinen Hund niemals in die Augen schauen dürfte...

Das Duo aus Zwei- und Vierbeiner schritt den geerdeten Trampelpfad entlang, entfernte sich von 'Haus und Hof' und näherte sich in langsamen, fast kontemplativen Schritten der kleinen Anhöhe, die sich in etwa einen halben Kilometer von dem Anwesen auftat.
Dies sollte aber nicht ihr ersehntes Ziel sein, so schön der Hügel und die Aussicht von diesem auf das Land war, so oft sie ihn schon emporgestiegen waren. Heute war es nicht angedacht dort den kommenden Sonnenaufgang zu betrachten. Es war auch noch viel zu früh dafür. Es herrschte nach wie vor eine fast unheimliche Stille in der gesamten Gegend.
Und so schritten sie entlang des Pfades am Hügel vorbei. Den Blick nach vorne gerichtet, den Mond hinter sich lassend und auf deren Weg, der sie zu einem etwas größeren See führen sollte.
Adelhaid genoß jede Sekunde dieses Spaziergangs. In der Ferne konne sie zur rechten und linken Seite die Höfe ihrer Verwandten sehen. Mehr als Schemen konnte sie aber im Halbdunkel nicht erkennen. Die Natur und alle Lebewesen schienen noch fest und friedlich zu schlafen. Nur das ungleiche Duo war hellwach und besten Willens das Ufer des Sees zu erreichen.

Adelhaid löste das Tau des Ruderboots, der See und dessen kleine Anlegebucht war erreicht, aber der Weg noch nicht zu Ende. Des Mondes Licht schimmerte und spiegelte sich in der Oberfläche des Wassers. Marley war zum Glück nicht ein Hund, der diese Element als eine Art Spielwiese für ausgelassene infantile schwimmakrobatische Einlagen der besonderen Art nutze. Das war er noch nie. Mit anderen Worten: Wasser & Marley waren zwei Paar Stiefel. Und Adelhaid war glücklich darüber, und nicht nur in diesem Moment. Wohl wahr, Marley konnte schwimmen, und wie, aber nur, wenn es absolut notwendig war.
"Geh aufs Boot Marley" befahl sie ihm. Nun ja, eigentlich sagte sie es ihm nur, denn Befehle waren ihr fremd. Schon damals, als sie ihren ersten Hund hatte, und auch danach. Noch nie dachte sie nur darüber nach mit einem ihrer Hunde in eine Hundeschule zu gehen. Für sie war eine solche Einrichtung absoluter Unsinn. All ihre Hunde zeigte ihr in den ersten Monaten klar, wie sie mit ihnen 'verfahren' müßte, damit Hund und Halter ein entspanntes Zusammenleben genießen konnten. Dieses Konzept ging bei jedem Hund auf.
Und so folgte Marley der 'Anweisung' ohne großes Zedern. Der Hund am Bord, ein kurzes Anstupsen des Bootes in Richtung offene See, ein elegantes 'Einspringen' von Adelhaid und schon konnte die Reise weitergehen.
Adelhaid nahm die Ruder in die Hand, drehte das Boot in Fahrtrichtung und steurte mit ruhigen aber kräftigen Schlägen vom Festland ab.
Bereits nach weniger als einer Minute lies sie die Ruder ruhen, klappte sie hoch und sprach freudigst zu Marley: "The same procedure ... schon bald sind wir an unserem Ort!"



"Immer wenn sie in 'fremden Zungen' mit mir redet muß was besonders bevorstehen" dachte sich Marley, ließ diesen aber an sich vorbeiziehen, schloß seine Augen und döste etwas vor sich hin. Denn eines war ihm klar, sie würde die Ruder nicht wieder so schnell anfassen.

Und er sollte recht haben. Noch bevor er seine Augen schloß, zogen die Lieder von Adelhaid gen Süden. Zu den Zeiten, als sie noch in der Gesellschaft lebte, tat sie das oft am Tag. Es war für sie wie ein kleiner Schlupfwinkel, fast eine Art Kurzurlaub. Sie schloß ihre Augen und sah. Sah, so wie und was sie sehen wollte oder durfte. Meist unbeeinflußt von Gedanken. Oft sah sie nur BIlder von Landschaften, der Natur, Tieren - zumindest immer alles abseits dieser damals ihr so unwirklichen Welt. Gelegentlich sah sie sich aber auch selbst, nicht als die Person, die sie in diesem Moment war, sondern meist in fortgeschrittenen Alter. Für sie war es normal, und sie dachte, es wäre bei allen anderen Menschen um sie herum auch so.

Nur durch ein zufälliges Gespräch mit einer ihr vertrauten Person erfuhr sie seinerzeit, dass nicht viele Menschen diese Gabe hätten. Shila war damals nicht unbedingt eine ihre beste Freundin, aber ein Mensch, dem sie alles offenbaren konnte, denn bei ihr war ein jedes noch so kleines Geheimnis sicher aufbewahrt. Zudem schien es so, als ob sie offen für alles wäre, hörte gewissenhaft zu, nahm sie und auch jeden anderen so an, wie er war. Ihre Tolleranz war schier grenzenlos, Korrekturen und Einwände, Zweifel oder sonst dergleichen gab es nicht in ihren Gedanken und gleichsam in ihrem Leben.
Aber wenn sie etwas zu sagen hatte, dann war es für Adelhaid so mächtig, daß sie es einfach so annehmen mußte, als ob ihre Worte die reine Wahrheit seien. "Glaube mir Adelhaid, du wirst all die Dinge, die du siehst erleben dürfen ... " sagte sie eines Tages unvermittelt zu ihr. Die beiden saßen damals gemütlich in einem Biergarten. Es war ungefähr die gleiche Jahreszeit wie heute, ein lauer metrologischer Herbstanfang in einer Kleinstadt, die mal ihr geliebtes Zuhause war. Und auch damals war ein Hund an ihrer Seite. Es war Adelhaid's erster Hund, Sam, ein stolzer Golder Retriever Mischling, sehr erhaben, aber auch sehr 'erzählfreudig' und jederzeit bereit einer Hündin in der Läufikgkeit seine Intaktheit zu symbolisieren. Eigentlich war es gar nicht ihr Hund, sie hatte sich ihm nur seinerzeit angenommen. Der Hund gehörte ihren Vermietern, die sich aber kaum um ihn kümmerte, obwohl sie ihn sehr lieb hatten. Adelhaid sah dies, nahm sich ihm an und kam durch ihn auf den Geschmack eine Hundhalterin zu werden. Er war der Anfang ihres Lebens mit Hund. "... Und sie werden schöner werden, als du es dir heute ausmalen kannst" schloß damals Shila ihren Satz.
"Wird das wirklich so sein" dachte sich Adelhaid damals, sah zu 'ihrem' Hund nach unten und sprach, halb fragend zu ihm "Was meinst du Sam?" Doch zu ihrer Enttäuschung gab er ihr keine Antwort. Oder doch ...?

Ganz in ihrem Gedanken und den Bildern von damals verfangen, vernahm Adelhaid ein 'WUFF'. Und daraufhin noch eines. Sie war verwirrt, Sam hatte damals keinen Ton im Biergarten von sich gegeben, aber jetzt gab er plötzlich Laut. "Was ist Sam?" fragte Adelhaid erstaunt. "Warum bellst du?" 
'WUFF, WUFF!' Adelhaid's war total perplex. "Was ist los Sam?" Noch gefragt, da vernahm sie einen Stoß gegen ihr rechtes Bein. Und dann noch einen etwas kräftigern gegen ihr linkes.
Adelhaid öffnete ihre Augen. Und da wurde ihr es klar. Nicht Sam hatte sie angebellt, es war der alte Marley der sie aus ihren Träumen rieß. Er saß jetzt direkt zwischen ihren gespreitzen Beinen und schaute sie an. Sein Kopf nickte in Richtung hinter ihr.
"Marley!" entriss es ihr. "Was? Was ist?" stoß sie heraus und nahm seine Einladung hinter sich zu schauen an. Noch nicht ganz wieder bei sich erkannte sie schemenhaft das, wovor sie ihr Hund aufmerksam gemacht hatte. "Oh!" entstieß es ihr. Und ein "Danke, Alter Mann." folgte. Sie erblickte das sich näherend Land, ihre angedachte Ziel. Ihre kleine Eiland inmitten des Sees.
"Entschuldige, wie lange hab ich geschlafen" fragte sie Marley, der nur mit einem kurzem Stöhnen ihr selbst die Antwort gab. "Womöglich zu lang" antworte sie, nahm die beiden Ruder in die Hand, um Kurs auf die Anlegestelle der Insel zu nehmen, bei der es sich eigentlich nur um einen Pflock samt gepflochteten Hanftau am Rande einer kleine Sandbank handelte. Viel Korrektur war nicht nötig, womöglich wäre das Boot auch ohne die Benachrichtung von 'Land in Sicht' durch Marley in unmittelbarer Nähe dort zum Stehen oder vielmehr Erliegen gekommen, aber dieses 'Erwachen' wäre unsanfter für Adelhaid geworden, als zwei Beinstupser und ein paar mahnender Worte eines Hundes. 

Kaum 'gestrandet' und ehe Adelhaid nur daran denken konnte das Ruederboot festzumachen, sprang ihr alter Hund beherzt aus selbigen, suchte sich den ersten Strauch, hob das Bein und entleerte seine Blase.
"Das ist der Grund, warum ich Hunde so mag" konterte Adelhaid und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Marley's Reaktion war sogleich seinen Markierungsakt durch einen mittleren Sandsturm zu verdeutlichen. "Hey, ich war hier Ewigkeiten nicht mehr, laß mir den Spaß, zudem bin ich auch nur ein Hund". Adelhaid hingegen begrüßte diese Verhalten nur mit einem herzhaften Lachen und einem nicht wirklich ernst gemeinten "Übertreib es nicht Junge!"

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"Und der Wind schickt mir eins seiner Lieder" Adelhaid stand am Uferrand, und blickte gedankenvoll zurück auf den See hinüber zum Festland. In der Ferne konnte sie den Hügel erblicken, den sie vor kurzem zu Fuß passierte. Trotz ihres kleine Tagtraums waren sie gut in der Zeit, die Nacht hielt noch das bißchen Dunkel wie eine Magnet seinen Gegenpol. Doch sie würde sich langsam lösen. Und Adelhaid wollte keinesfalls diesen Augenblick verpassen wollen, vor allem nicht mit Erinnerungsfetzen einer längst vergessenen Welt, einer Welt in der sie sich noch schwelgte in der Musik aufzugehen, die aus einem ihrer elektronischen Gerätschaften heraus und unmittelbar in ihr Gehör drang.
"Vermag Tag nicht die Nacht zu besiegen", Adelhaid unterbrach sich kurz selbst, dreht sich ihrem Hund zu und sprach melodisch fort: "Nicht flammend geh ich den Weg. Hin zu der steinernen Kammer. Verschlossen vorm warmen Licht". Marley's Blick derer Worte die ihm da entgegenhallten könnte man mit nichts trefflicheren beschreiben als erstaunte Neugier. Obgleich er doch wußte, was sein Frauchen ihm hiermit sagen wollte. Auf ein Neues fand er sich somit bestätigt, dass Menschen die Eigenart genossen in missverständlichen Floskeln zu sprechen. Er hatte im Prinzip nichts dagegen, war daran auch schon mehr als gewöhnt, aber trotzdem beschlich sich ihm immer wieder der Gedanke, den er nie so richtig für sich selbst beantwortet konnte, zumindest nicht befriedigend genug so dass er davon jemals loslassen könnte. "Es wäre ein solches einfacher, wenn sich die Menschen das mal abgewöhnen würden" dachte sich Marley, beschloss aber das nicht seinem Frauchen in aller Eindringlichkeit zu vermitteln. Er war für solche für Menschen nicht verständlichen und für sie bewerteten "Infantilitäten" nicht mehr der jüngste seiner Zunft. Daher ergab er sich seinen Schicksal, wandte sich Adelhaid ab und stapfte auf seine vier Pfoten auf den kleinen Pfad bedächtlich hinfort. Und ehe er für sie nicht mehr einsehbar wahr, machte er kurz vor eine Hecke halt, dreht seinen Kopf über den Rücken gewand zu ihr um, ahmte eine Nickgeste der Menschen nach und setze seinen Weg fort.  
Für Adelhaid war es ein eindeutliges Zeichen, dass ihr Hund ihr signalisierte und ging einher mit ihrer Erkenntnis, dass es manchmal dienlicher wäre, wenn man nicht so viel über Dinge nachsinnt.
"Der Herr - so warte, ich werde dir folgen. Weisen Sie mir den Weg, ich werde ihn gehen." Nicht zu erwähnen, dass Marley's Reaktion auf diese 'Floskeln' ein sich selbst bestätigendes Durchschnaufen auf hündische Art war.

Adelhaid belustigt von ihrem Hund und ein bißchen von sich selbst summte den sanft aufsteigenden und schmalen Weg empor. Zum Entsetzen ihres Hundes hielt sie es für angebracht bei der ein oder anderen Heckenpflanze kurz stehen zu bleiben, diese zu betrachten und ein Stückchen davon abzupflücken. Aß sie diese nicht sofort, wurde wohl die Qualität geprüft. Meistens vertraute sie dabei ihrer Geruchssinn, nahm das Stück Natur zwischen ihrem Daumen und dem Zeigefinger, rieb es damit und führte es zu ihrer Nase. Marley fand das anfangs sehr albern, jetzt aber nach Jahren der Menschenerfahrung mußte er insgeheim darüber lachen. Er fragte sich öfters, ob der Mensch nicht wüsste, dass er nur beim Einatmen riechen kann, nicht beim Ausatmen, qausi nur Mono. Mal davon abgesehen, war das für ihn auch wieder so ein kleines Rätsel, nämlich warum Mensch so wenig Gebrauch von seiner nasalen Leistungsfähigkeit nahm. Insofern beurteilte er sein Frauchen positiv, denn sie vermochte wenigstens ab und an einen kleine Versuch in diese Richtung zu starten.
Was er aber an ihr sehr zu schätzen lernte, dass sie ihn insoweit vertraute, um sich bei ihrer eigenen Unsicherheit der Geniessbarkeit an ihn und seine 'Stereonase' zu wenden pfegte. Meist fiel seine Bewertung negativ dabei aus, weil er einfach höhere Ansprüche hatte als sie. Da er aber nicht unentwegs enttäuschen wollte, kam er ihr oft entgegen, aber nur insoweit, dass er hier keine Gefahr für die Gesundheit seines Frauchens sah, lediglich daran zweifelte, ob es ihr in allem Maße gut tun würde.

Und so vertraute Adelhaid völlig dem Riechorgan ihres Vierbeiners. Oft nannte sie ihn liebevoll 'Nasentier', manchmal aber auch förmlich 'Herr Makrosmatiker'. Oder sie fragte wie soeben "Könntest du mal hier einem Mikrosmatiker zu Hilfe kommen?"
Sie streckte ihren Daumen und Zeigefinger in seine Richtung, genauer gesagt hin zu seiner Schnauze. Er kam dem Wunsch gerne nach, denn er liebte es, wenn er gebraucht wurde. Ein kurzes Schnüffeln schadet nicht, so dachte er auch. Eins - zwei - dr.. - 'Hatschi!' entfuhr es mit mehr als 160 Stundenkilometer Marley. "Wohl bekomme es - eher nicht!" entgegnete Adelhaid, lies das Pflanzenstück gen Boden fallen, rieb sich ihre rechte Hand an ihrem Mantel trocken und tätschelte mit der linken Marley's Kopf. Schritt an ihm vorbei, dem Pfad voran, dem Weg empor.
Und Marley dachte sich nur "Mikro 0 - Marko 1".



Marley's kleines Erfolgserlebnis in Bezug auf seine überlegenen Fähigkeiten in nasalen Angelegenheiten aller Art gegenüber seinem Frauchen währte nicht lange. Gut möglich auch daher, weil er es für einen kurzen Moment zu lange auskostete. Er war ja nicht mehr der Jüngste seiner Art und so sei ihm es wohl verziehen. Aber auch Adelhaid kannte sein und vor allem ihr Alter. Und sie war sich auch der Tatsache bewusst, dass ihr kleines Nickerchen im Boot ihnen etwas Verspätung eingebracht hatte.
Normalerweise war es ihr fremd sich nach der Zeit zu richten, wenn es nicht gerade um ihre persönliche Ernährung ging, wo sie stets eine Auge darauf hatte, gewisse Speisen gemäß des natürlichen Plans einzunehmen. So wäre es für sie ein Unding an regenreichen Tagen Baumobst zu essen ohne zu wissen, dass ihr die Frucht mehr geben könnte, wenn es trocken wäre.
Und all dies und womöglich ein vieles mehr könnte Adelhaid dazu bewogen haben Marley diesen Hochgenuss an dieser Stelle zu entreißen.

Ein wenig erhöht und etwa zehn bis fünfzehn Meter entfernt von dem in sich noch triumphierenden Vierbeiner machte Adelhaid Halt, wandte sich ihm zu und frohlockte förmlich in seine Richtung: "Schlechte Nase, passabele Ohren, bessere Augen!"
Marley schwante Schlimmes. Würde er jetzt noch einen Moment länger zögern ihr bei Schritte zu folgen, könnte er Gefahr laufen, sich auf ein Neues die Geschichte über ihre so vorzüglichen Augen anhören zu müssen. Zweifelsohne würde sie ihm sodenn unter die Nase reiben, dass die ihren den seinen vor allem bei Dunkelheit ebenbürtig wenn nicht sogar überlegen waren. Bei Leibe hatte er sich dieses Faszinosum zu oft in den vergangenen Jahren zu Gemüte führen dürfen, auch wenn er all das nie so richtig zu verstehen vermochte. Adelhaid waren vor allem nicht stolz darauf, auch wenn sie - wie soeben mal wieder - diese Fähigkeit ihm vor seine sprichwörtlich sinngemäßen Augen legte.
Andererseits gestand er sich ein, dass ein wahrer Kern dahintersteckte. In seinen vielen Jahren hatte er zahlreiche Menschen in der Dunkelheit beobachten können, wie sie mit allen möglichen Mitteln sich diese für sich sichtbar machten. Meist benutzten sie Fackeln oder Lampen mit Kerzenlicht, selten technische Gerätschaften, die als künstliche Lichtquelle dienten und ihren Weg erleuchteten. Er kam zum Schluss, dass es für Menschen wohl nicht möglich war in der Finsternis den rechten Pfad gänzlich ohne solch seltsamer Hilfsmittel zu finden. Zumindest ein umbekümmertes Hinfortschreiten war für sie ohne Lichtquelle nicht denkbar. Und es machte insoweit Sinn, für ihn erkenntnisdeckend aber auch zum Teil erschreckend, da er deren Geruchssinn für unterirdisch einstufte, und dies für ihn nur die einzig logische Konsequenz darstellte.

In Adelhaid allerdings fand er einen Zweibeiner der dieser natürlichen Veranlagungen trotzte. "Postnatal" war ein Schlagwort in diesem Zusammenhang, welches sich bei ihm wie ein konditioniertes "Sitz" oder "Platz" im Verstande verankert hatte, jedoch ganz und gar nicht positiv aufgebaut. Und irgendwie konnte und wollte er es nie hinnehmen, dass sie ihm hier die Stirn bieten oder vielmehr das Wasser reichen konnte, obgleich er wußte, dass ihr daran keine Schuld zukomme.
Es war ein Zustand, der sich im Laufe ihrer Jahre aufgrund zahlreicher Verwirrungen so ergeben hatte, aber postnatal schon kurz nach ihrer Geburt vorhanden war.
Die Geschichte ihrer nachtaktiven Augen war für ihn wie ein Buch mit sieben Siegeln, jedoch mit einer festen Konstante: er schlief jedensmal dabei ein, egal zu welcher Tageszeit, egal wo sie es ihm erzählte. Zu viele Fachbegriffe, Worte deren Bedeutung er nicht kannte, die ihm seltsam und fremd erschienen. "Tapetum lucidum" wäre ein auf indogermanischen Ursprung bezogenes Wortgebildete. Retina war noch fast bekömmlich dagegen. Kristalleinlagerungen halb verständlich, obgleich viel zu lange; desgleichen wie Stäbchen-Opsine. Schon bei ihren einleitenden Worten zu iher Augenmuskelgleichgewichtsstörung des von ihr sogenannten Strabismus - im genaueren des Divergenzexzesstypus - rollten sich seine Augen oder vielmehr verdeckten seine Lieder diese gen Süden. Wenn Sie dann von ihrer anfänglichen Hypermetropie bis hin zu ihrer induzierte Formdeprivationsmyopie zu erzählen began, war für ihn die Welt nur noch Dunkel und er mußte arg mit sich kämpfen, um nicht gleich ins Land der Träume zu versinken. Meist misslang es ihm.
Rhodopsin und die Erwähnung von Essen brachten ihn aber unerklärlicherweise immer wieder zurück in die Realität, auch wenn sich seine Augen wohl nicht so schnell an die Umstellung von dunkel auf hell gewöhnen konnten, wie es bei denen der Erzählerin der Fall war. Mag das wohl an der bei ihm erhöhten ultravioletten Empfindlichkeit der Sehpigmente der S-Opsine liegen oder war das bei Adelhaid so, und bei ihm andersrum ...??
 

Marley hatte zumindest im Moment kein großes Bedürfnis auf eine weitere Erzählstunde, schüttelte sich nur kurz und folgte letztendlich stapfenden Schrittes der Frau mit den leuchtenden Augen, die ihm seinen nasalen Sieg nicht eine Sekunde länger gönnte, als sie es für richtig erhielt.
"Besser als Beifuß!" hätte ein jeder dieses Zweiergespannes sich denken können ...


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Fortsetzung: "Die Schwestern Adelhaid und Selma (Pt. 1b)" -  geschichtle1_pt1b


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