Geschichtle I (Pt.
1)
"The same procedure ..." oder: "Der
frühe Vogel ..."
Ein warmes, sanftes Nass vom Kinn aufwärts bis zu den Augen und darüber hinaus liesen Adelhaid aus dem Land der Träume in die Realität gleiten. Sie öffnete ihre Augen, erschrak kurz. Und schloss selbige wieder.
Ein schriller Ton ein paar gefühlte Sekunden später veranlaßte sie schließlich endgültig in eine horizontale Körperhaltung zu kommen. Der altertümliche Wecker aus einer anderen Zeit war die Ursache des Übels. Aber er war notwendig, so unfreundlich sein Geräusch auch war. Er kam zwar in aller Regel nur einmal im Jahr zum Einsatz, und das seit vielen vielen Jahren, aber er leistete nach wie vor seine guten Dienste, so wie auch an diesem heutigen.
Eigentlich war er nicht notwendig, denn das sanfte warme Nass einer Hundezunge und der herzliche Blick aus nussbraunen Augen direkt in das Herz eines Menschen hätten völlige Genüge getan.
Ihr alter Hund war manchmal ein besser Zeitmesser als eine Atomuhr.
Und auch wenn es für sie nicht üblich war zu so früher Stunde den Tag in der Nacht zu begrüßen, heute war es einfach nötig. Und wie in jedem Jahr an diesem Tag legte sie großen Wert darauf diesen Zeitpunkt vor der Morgendämmerung auf keinen Fall zu verpassen.
Ein kurzes Strecken und mit einer geradezu geschmeidigen Eleganz warf sie ihre Füsse parallel hoch und aus dem Bett, direkt in ihre Hauspartoffeln, auch diese ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, denn sie pflegte seit Jahrzehnten eigentlich keinen Gebrauch mehr für Schuhwerk. Nur in ihrer Schlafstube kamen diese zum Einsatz. Und auch nur, weil sie kein Bedürfnis hatte mit Tierhaaren an den Sohlen zu Bette zu gehen. Wieso das so war, konnte sie sich selbst nicht erklären.
"Guten Morgen Marley" schoss es aus ihren Lungen über ihre Zunge direkt in die Ohren ihres treuen Begleiters. Selbiger kam foglich gleich zu ihren Knien, schmiedete sich an diese und erwartete sein frühmorgendliches Verwöhnungsprogramm, dass in einer ausgiebigen Streichelmassage bestand.
Und wie an jedem Morgen seit 20 Jahren kam sie diesem Gesuch nach, wenn auch heute nur sehr kurz. "Marley, du weißt was heute für ein Tag ist?" fragte sie in den Raum. Die Ohren des Tiers gingen etwas nach hinten, ebenso dessen Leftzen gleichsam nach hinten -ein belustigendes Grinsen hervorgebend -, und es machte den Anschein, als ob er die Augenbrauen zu einem nachdenklichen und etwas verdutzen Stutzens hochzog, so als wolle er sagen: "Natürlich weiß ich das du Dummchen, ich hab dich schließen extra dafür mitten in der Nacht geweckt".
Adelhaid mußte nicht mehr sagen, natürlich wußte ihr 'alter Herr', was es für ein Tag war. Und so drehte er sich von Frauchen ab, ging ein Stückchen nach vor und setzte sich circa einen Meter von ihr entfernt hin, festen Blickes zu ihr. Und obendrein noch strategisch günstig zwischen dem Bett und der Türe, die der indirekte Weg für ihn nach draußen bedeutete. Er deutete kurz ein Nicken in Richtung Ausgang zu seinem Frauchen an. So als wolle er sagen, "nun las uns schon gehen, alte Frau".
Ein Lächeln entfloß Adelhaid und es schien als ob es die Seele dieses Tieres direkt erreichte. "Nun gut, natürlich weiß du das." Adelhaid erhob sich gemächlich, streckte sich kurz, bis sie stehend vor dem Bett stand und ihren Satz vollendet: "Dann las uns losgehen."
Es mag befremdlich für jemanden klingen, wenn ein Mensch zu einem Tier spricht, aber Adelhaid pflegte die verbale Kommunikation nicht nur mit ihrem Lieblingstier Marley, sondern auch mit einem jedem Lebewesen. Nicht einfach nur so, nicht aus Einsamkeit - das war sie ganz und gar nicht -, sondern weil sie einen direkten Zugang zu einer jeden Lebensform hatte. Angefangen bei den Pflanzen in ihrer direkten Umgebung über die einfache Arbeitsbiene bis hin zu Niederwild aller Art. Es schien faßt so, als ob sie mit sich und ihrer Umwelt eine Art Symbiose eingegangen ist, und das nicht erst seit gestern sondern seit vielen Dekaden.